Tschichold – na und!?

Ab und an kaufe ich mir Fachliteratur. In meinem Fall geht sind in der Regel Bücher zum Thema Grafik-Design und Typografie. Letzteres Thema macht mich meist grantig, da könnte ich dann jeden blöden Buchstaben ungespitzt in in die Buchseite hauen. Aber feinsinnig und zivilisiert wie ich nun mal bin, spitze ich lieber meine Tippfinger und schreibe eine Rezension oder sowas ähnliches.

Tschichold – na und? Wie ich darauf kam mir dieses Buch anzuschaffen – keine Ahnung. Jedenfalls lag ein Zettel auf meinem Schreibtisch, neben dem Monitor, wie viele andere Zettel. Buch-, Film- und Albumtitel sind fast unleserlich vermerkt – ich muss weiter an meiner Handschrift arbeiten. Auf einem dieser Zettel stand: Gerd Fleischmann: Tschichold – na und? Ich dachte prima Titel und malte mir einen polemischen Text aus, von einem der’s drauf hat und dem Tschichold (Overlord of German Typography), eigentlich dem Tschold’schen Dogmen, mal richtig eine reinwürgt. Ich hatte wohl das Fragezeichen am Ende des Titels übersehen. Ein Ausrufezeichen wahr wohl freud’scher Wünscher.

Aber leider erweist sich schon die Einbandgestaltung als ein wenig fad und eben das, was man fast immer zu sehen bekommt wenn es um Typografie und Buchgestaltung geht. Raster, Durchschuss, wichtigtuerische große Buchstaben und alles sehr, sehr, sehr brav. Da wundert es einen nicht, wenn sich die Makrotypografie im Inhalt überraschenderweise ebenso fade fortsetzt: Koniferenhecke, Rhododendren und ein bisschen kurzer Rasen – ziemlich leblos.

Also die erste Entäuschung hatte mich schon auf den ersten Blick ereilt. Wie es vermutlich einigen schon dämmert wird es noch finsterer. Kleinkarrierte Fummeltypo – wenn einem der Inhalt verschlossen bleiben soll, dann doch wenigsten Sütterlin oder gleich in Zapf Dingbats (danke Hermann Zapf und David Carson*), dann wärs wenigstens amüsant. Hätte das Büchlein mit seinen 80 Seiten nicht 20 Euro gekostet, hätte ich es vermutlich nach Durchsicht des Inhaltsverzeichnisses zu den anderen Buchbüchern gelegt. Warum sind Bücher über Bücher immer so verkrampft – Tschichold?

Ich lese. Es fällt mir schwer dem Inhalt zu folgen. Die Schift ist es nicht, die mich stört.** Es sind die Seitenzahlen am Rand. Sie sind wie ein schmatzender Tischnachbar, der ständig den Rotz in der Nase hochzieht. Da wünscht man sich doch mehr Tschichold als weniger. Überhaupt zeigt das Buch in seiner Form, wie auch Inhaltlich, daß Tschichold nicht verstanden wurde. Ziel Tschicholds war es im Grunde schon mit der Neuen Typografie, Drucksachen zu normen und klarer zu Gestalten, für eine günstigere Pruduktion und ein besseres Verständnis. Wenn man sich die Zeit einmal ansieht aus, welcher Zeit dieser Wunsch erwachsen ist, wenn man sich Paul Renner mit seiner Futura und das Bauhaus ins Gedächtnis ruft, dann kann man regelrecht sehen worum es geht. Reduktion, die Konzentration auf das Wesentliche. Immer mit demokratischem Anspruch.

Es ist immer schwierig Regeln festzusetzen, da sie gerne mal zu Dogmen werden. Und es werden meist die Dogmen derer, die sich zur Deutungshoheit berufen fühlen. Schnell meint man Tschichold hätte sich später widersprochen. Ich finde das nicht. Er hat nach einer universellen Form des Buches gesucht und schloss dabei einfach Prunk- und Protzbücher aus (die uns seit den Zweitausenundeinsläden günstig um die Ohren gehauen werden). In Diskussionen über Regeln in der Typografie, vorallem im Studium stellte ich mit einem Freund fest: Der Tschichold war enfach sehr gut und reduzierte sein Schaffen eben auf das günstige Lese- und Lehrbuch. Das ist jetzt natürlich Mutmaßung. Leider besitze ich nicht alle von Tschichold verfassten Bücher um das nachzuweisen. Dabei fällt mir auf, die Neue Typografie ist Din A5 und Tschichold, na und? hat die gleiche Proportion, wie Tschicholds Ausgewählte Aufsätze über Fragen der Gestalt … und obwohl die … Aufsätze im kleineren Format gesetzt sind, lassen sie sich komfortabel lesen, wesentlich besser als eben … na und.

Das liegt wohl an der Satzbreite und der Papierfarbe, das Papier in na und? ist anstrengend. Eigentlich schätze ich die Papiersorte Gardapat, ein griffiges, natürliches Bilderdruckpapier mit Volumen. Bei vielen Katalogen habe ich Gardapat genutzt. Aber bei einem Textbuch, zum Lesen, in dem Format? Störrisch. Dann noch die schmatzenden Seitenzahlen. So wird das erstrebte Lesevergnügen zur anstrengenden Selbstbeherrschungsübung.

Dann hat man sich durch die Texte, die vor allem aus Zitate bestehen, gequält – kam mir wie eine uninspirierte Dorktorarbeit vor – und fragt sich, worauf das hinauslaufen sollte? Kein Kenntnis- und schon gleich gar kein Erkenntnisgewinn. Geschwafel. Wichtigtuerei. Das beste an dem Buch sind die zitierten Regeln, die Tschichold für die Penguin Books vormuliert hat. Den Satz frech um 90° gedreht, trotzdem besser zu lesen als der Rest. Ich bin vermutlich beim Kapitel Bücher riechen geistig ausgestiegen.

Kurzum, wie bei jeder Gestaltung geht es zunächst um Inhalt und Zweck. Der Inhalt kann mir erlauben experimentell zu gestalten oder es mir verbieten. Es ist der Gestalter und leider auch oft das Budget/Verlag, sie entscheiden über die Qualität der Gestalt. Wenn man die Entscheidung abgibt, z.B. weil man nichts falsch machen möchte, kann man sich strikt an ein Regelwerk wie das Tschichold’sche halten. Wie man sich vielleicht denken kann, wäre mir das in diesem Fall lieber gewesen. Eigentlich in den meisten Fällen. Aber ein Gestalter mit Augen im Kopf, einem Einfühlungsvermögen und womöglich auch noch Fachwissen, kann durch das Buch dem Rezipienten über den Text hinaus das richtige Gefühl vermitteln und den Inhalt bekräftigen.

Es geht aber auch ohne Tschichold, nach Tschichold. Anders, wie zum Beispiel Das Narr – Das narrativistische Literaturmagazin oder Grafic Design is not innocent beides unterschiedlichste Pubklikationen, beides ein Lesespaß, beide missachten vorzüglich die tschichold’sche Vorgabe, nur eine Antiqua mit Serifen sei gut zu lesen. Die Reihe Ästhetitik des Buches im Wallstein Verlag hat noch ein paar interessante Titel, vermutlich werde ich nicht auskommen und mir welche kaufen müssen. Wie heissts so schön. „LEGEN SIE IHR GELD IN BÜCHERN AN“:

Gerd Fleischmann, Tschichold – na und?, Wallstein Verlag, 2013, ISBN 978-3-8353-1353-8. 80 Seiten kosten 19,80 €

Beim Verlinken erst gesehen: „Ein aktueller Blick auf den wichtigsten Typografen des 20. Jahrhunderts – Jan Tschichold. …“. Trotz des besseren Verständnis‘ zum Inhalt, macht es das Buch nicht besser. Die Gestaltung arbeitet gegen den Inhalt des Textes (s.o.). Weitere Titel nach den Bildern.

So gelungen kann Typografie sein:

Ingo Offermanns. Graphic Design Is (…) Not Innocent, Valiz in collaboration with Hamburg University of Fine Arts. 2022, ISBN 978-94-92095-90-9, 288 Seiten für 25 €

Das Narr – Das narrativistische Literaturmagazin, #34, 184 Seiten für 15 CHF

* David Carson war Gestalter der Ray Gun – ein Rock-/Surfermagazin in den 1990ern. In einer Ausgabe setzte er ein ein Interview in Zapf Dingbats. Vermutlich weils er das Interview sch**** nicht so gut fand oder weil er einen Clown verschluckt hatte. Überhaupt war die Ray Gun das, was man heute als Kunstzine bezeichnen würde, nur mit redaktionellem Inhalt. Weil Rocker und Surfer als große Leser bekannt sind (not), konnte Carson mit seinem freien Textumgang bestehen. Mir fehlt sowas. Und Rocker und Punker sind heutzutage so spießig, die würden am liebsten wieder Blei setzen und mit Luftpostpapier spationieren, währen sie auf dem Webergrill ein Dreigängemenü zubereiten, anstatt ein anarchisches Fanzine zu fabrizieren. Plop

** Naja, der Font nervt schon auch. Die FF Scala find ich irgendwie spitz, spießig, konstruiert, wichtigtuerisch. Bei ihr stört mich vermutlich auch die Nähe zur klassizischen Antiqua, die ich fast nie gut finde – so wie Grünkohl (meistens ein Irrtum:). Leider muss ich gestehen, dass sie mit dem Inhalt und der eleganten Form durchaus zusammen zu passen scheint.

Wer Fehler findet bekommt eine Publikation der Edition Blumen zugesandt!

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6 Gedanken zu “Tschichold – na und!?

  1. Danke für die lesenswerte Rezension. „Tschichold war enfach sehr gut“, als er sich noch Ivan nannte. Später muss er ein gar schrecklicher Pendant gewesen sein. Sein Biograph Werner Klemke berichtet, Tschichold habe in seiner Brieftasche neben Karton- und Papierspänen verschiedener Stärke auch Florpapierstückchen liegen gehabt, um Zeilen auszugleichen, wo die feinsten Spatien der Setzerei nicht mehr ausreichten. Wenn Tschichold dann vorn in die Druckerei kam, sprang hinten der entnervte Faktor (der Erste Setzer) aus dem Fenster. Aber bei aller Pedanterie war’s doch ein Liebesdienst am Leser. Als Schriftsetzerlehrling wusste ich nicht viel von Tschichold, doch seine Grundsätze haben mich indirekt über die Fachzeitschrift „Grafisches ABC“ geprägt.

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  2. Und: Die Formulierung: „Dann noch die schmatzenden Seitenzahlen“ ist sehrsehr erqickend. Undundund nachzutragen: Tschichold Verdienst ist, mit den typografischen Verirrungen des 19. Jahrhunderts aufgeräumt zu haben, da kann einer nassforsch daherkommen und „Tschichold – na und?“ fragen, ohne das zu schmälern, Bockmist verflucht!

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  3. Soeben fand ich, dass Gerd Fleischmann, der Autor des von dir rezensierten Buches, zu:
    Tschichold, Jan 1928, „Die neue Typographie – Aufsätze zur Neuen Typographie“ wohl einen Aufsatz beigesteuert hat, weshalb er sich vielleicht berufen fühlt, Tschichold – na und? zu fragen.

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    1. Im Nachgang vermute ich, dass das „– na und?“ als „und was jetzt?“ oder „was folgt“ zu verstehen sein soll. Aber auch das zeigt, dass Tschichold missverstanden wurde und es macht die peinliche Form nicht besser. Auf die schmatzenden Seitenzahlen bin ich einigermaßen Stolz – lol. Mein häufigster Schreibfehler war übrigens „Tschold“, ich glaube ich musste Tschichold 1000mal schreiben. Die „… Aufsätze über Fragen zur Gestalt des Buches …“ mag ich eigentlich ziemlich gerne, auch wenn mir der Ton manchmal zu bräsig wird und der Pedant durchkommt. Meine Edition-Blumen-Hefte sind maßgeblich von diesem Büchlein beeinflusst.

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